Mein Umgang mit schwierigen Situationen

Auf der Suche nach mei­nem Umgang mit per­sön­lich schwie­ri­gen Situa­tio­nen bin ich auch auf ver­schie­de­ne Phi­lo­so­phien und Lebens­küns­te gestos­sen. Ideen des Stoi­zis­mus und anti­ke asia­ti­sche Welt­an­schau­un­gen haben mich dabei beson­ders angesprochen.

In ihnen wer­den Glück und Unglück vor allem als mensch­li­che Wert­ur­tei­le und Kon­struk­te unse­res Ver­stan­des betrach­tet. Es ist der Mensch, der die­se Welt erst gerecht macht und über sie richtet.

Die äus­se­re Welt um uns her­um ist wert­neu­tral. Eine Blu­me bei­spiels­wei­se unter­schei­det nicht zwi­schen «gut» und «böse» oder «rich­tig» und «falsch». Sie ver­strömt ihren Duft für alle und folgt ledig­lich den Geset­zen von Ursa­che und Wirkung.

Die Kräf­te des Kos­mos sind weder gerecht noch unge­recht. Sie sind da, mehr nicht. Es ist, so ver­ste­he ich es zumin­dest, erst der mensch­li­che Ver­stand, der den Din­gen einen Wert zuschreibt. Die Welt wird dann zu dem, wofür wir sie hal­ten, und die Gescheh­nis­se zu denen, wie wir sie inter­pre­tie­ren und bewer­ten. Es ist eine uns zur Ver­fü­gung ste­hen­de Art, mit der Welt um uns her­um zu inter­agie­ren und in Reso­nanz mit ihr zu tre­ten. Es ist aber auch eine Chan­ce, um uns von der zwang­haf­ten Suche nach dem Glück und der Angst vor dem Unglück ein Stück weit zu befreien.

Denn wir Men­schen ver­knüp­fen Glück oft mit posi­ti­ven Gedan­ken und Hand­lun­gen. Alten asia­ti­schen Leh­ren zufol­ge trägt alles Posi­ti­ve auch etwas Nega­ti­ves in sich und umge­kehrt. Also: Wo Schat­ten ist, da ist auch Licht. Zu sagen, dass du glück­lich bist, bedeu­tet, dass du in der Ver­gan­gen­heit mal unglück­lich warst. Wenn dir eine Blu­me gefällt, gefällt dir eine ande­re weni­ger. Die­se Dua­li­tät ist für uns wich­tig. Du musst das Nega­ti­ve ken­nen, um das Posi­ti­ve wert­zu­schät­zen. Die­se Betrach­tungs­wei­se ken­ne ich auch aus dem Sport, und sie macht es essen­zi­ell, dass ich auch mal eine Nie­der­la­ge ein­ste­cken muss, um einen Sieg rich­tig ein­ord­nen und schät­zen zu kön­nen. Oft­mals ist es gera­de ein Rück­schlag, der uns dazu bewegt, uns wei­ter um etwas zu bemü­hen und letzt­lich zu wach­sen. Jede Beschwer­de über etwas trägt die Hoff­nung auf Bes­se­rung in sich. Aber die­ses Wis­sen macht noch nicht glück­lich. Denn das wah­re Glück scheint mir in Abwe­sen­heit sol­cher Urtei­le ver­bor­gen zu sein. So ver­su­che ich, Din­ge und auch Men­schen urteils­los so anzu­neh­men, wie sie sind, und sie nicht all­zu sehr zu (be)werten. Zuge­ge­ben, es ist nicht ein­fach, und ich bin noch weit von die­ser Fähig­keit ent­fernt. Ich den­ke, es muss uns auch nicht davon abhal­ten, etwas wert­schät­zen oder gut­heis­sen zu dür­fen, Vor­lie­ben zu haben oder opti­mis­tisch sein zu dür­fen – ganz im Gegen­teil. Aber viel­leicht heisst es, sich ein­fach öfters mal mit dem zu begnü­gen, was man hat, und den Moment so zu neh­men, wie er ist. Dadurch blei­ben wir auch ver­mehrt in der Gegen­wart und hän­gen gedank­lich weder der Ver­gan­gen­heit nach, noch seh­nen wir uns nach der Zukunft. Das ist der Inbe­griff inne­rer Ruhe, Aus­ge­gli­chen­heit und macht uns gelas­se­ner. Neh­men wir uns ein Bei­spiel an Kin­dern. Sie sind in der Lage, sich voll und ganz dem Moment hin­zu­ge­ben, statt alles zu «zer­den­ken», und schei­nen dabei oft glück­lich und unbe­schwert. Den Bud­dhis­ten zufol­ge lässt sich das Glück in uns fin­den, wenn wir ein­fach sind und bei­spiels­wei­se meditieren.

War­um fällt es uns oft so schwer, ruhig dazu­sit­zen? Weil wir uns stän­dig mit Wün­schen ablen­ken. Wir glau­ben, das Glück befin­de sich irgend­wo «da draus­sen», wir müss­ten es in der Aus­sen­welt suchen. Es wird sich ein­stel­len, wenn wir etwas Bestimm­tes besit­zen, etwas Bestimm­tes tun, erle­ben oder errei­chen. Und zwar mög­lichst schnell und mög­lichst erfolgreich.

Ich fin­de die aus dem Bud­dhis­mus stam­men­de Meta­pher des «Affen­hirns» sehr pas­send. Dabei wer­den die Gedan­ken mit Ästen und der Ver­stand mit einem Affen ver­gli­chen, der sich rast­los von einem Ast zum nächs­ten han­gelt. Man­che Gedan­ken sind Urtei­le, Erin­ne­run­gen, wie­der­um ande­re sind in der Zukunft lie­gen­de Vor­stel­lun­gen. Wir sor­gen uns, pla­nen das kom­men­de Wochen­en­de und gehen die Ein­kaufs­lis­te durch, ärgern uns über began­ge­ne Feh­ler, trau­ern einer womög­lich ver­ge­be­nen Chan­ce nach und bewer­ten, was gera­de vor sich geht. So schwingt sich das Affen­hirn täg­lich durch meh­re­re tau­send Äste.

Die­se men­ta­le Umtrie­big­keit kann nütz­lich sein. Sie lässt uns lang­fris­ti­ge Plä­ne schmie­den, treibt uns in unse­rem Tun vor­an und lässt uns Pro­ble­me lösen. Den­noch tun wir gut dar­an, den Affen zu zäh­men und den inne­ren Ham­pel­mann, der uns stän­dig von der Gegen­wart ablenkt, zu beruhigen.

Nie­mand sagt, dass das ein­fach ist. Gera­de auch ich als Sport­ler will stän­dig etwas errei­chen, lebe stark ziel­ori­en­tiert und bin zukunfts­ge­rich­tet. Mei­ne Gedan­ken dre­hen sich oft um die Opti­mie­rung der Leis­tung und das Errei­chen von Zie­len. Neue Rei­ze zu suchen, aber immer wie­der auch eine Balan­ce her­zu­stel­len ist ein wich­ti­ger ste­ti­ger Wachs­tums­pro­zess. Dabei kann mir eine Medi­ta­ti­on hel­fen, wert- und urteils­frei fest­zu­stel­len, was mich beschäf­tigt, unnüt­ze Gedan­ken los­zu­las­sen und das Affen­hirn zu ent­schleu­ni­gen. Der Blick auf das Wesent­li­che und wirk­lich Wich­ti­ge wird frei und es wird mir bewusst, was per­sön­li­ches Glück tat­säch­lich bedeutet.

Gera­de die­se Zukunfts­ge­rich­tet­heit mit mei­nen Zie­len vor Augen macht mir bewusst, wie sehr Glück und Unglück auch in unse­rem Sprach­ge­brauch mit der Per­spek­ti­ve ver­knüpft ist. Wie wir das Glück in der vor uns lie­gen­den Zukunft zu suchen schei­nen, indem wir bei­spiels­wei­se Zie­le «errei­chen», nach Zufrie­den­heit «stre­ben» oder nach dem Glück «grei­fen». Wäh­rend­des­sen wer­den wir vom Unglück «ein­ge­holt», vom Schick­sal «ereilt» usw. Das lässt uns hoff­nungs­voll einer bes­se­ren Zukunft ent­ge­gen­bli­cken und ermu­tigt uns, das ver­meint­lich Schlech­te hin­ter uns zu las­sen. Doch es hin­dert uns auch dar­an, zufrie­den im Hier und Jetzt zu leben und die Din­ge so zu neh­men, wie sie sind. Es ver­führt dazu, immer mehr und immer schnel­ler dem Glück nach­ja­gen und vor dem Unglück flie­hen zu wol­len. Doch viel­leicht wird uns das Unglück spä­tes­tens dann, wenn wir erschöpft sind, ohne­hin ein­ho­len. Viel­leicht kön­nen wir unser Tem­po dros­seln, gelas­se­ner wer­den und das Glück in uns statt vor uns suchen.

Nebst die­sen eher spi­ri­tu­el­len Betrach­tun­gen spie­len für mich per­sön­lich reli­giö­se Ansich­ten eher eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le. Aber selbst­ver­ständ­lich mache ich mir auch dar­über Gedan­ken und habe schon als Kind die Fra­ge aller Fra­gen in den Raum gestellt: War­um bin gera­de ich mit einem offe­nen Rücken zur Welt gekom­men und auf den Roll­stuhl ange­wie­sen? Die Ant­wort erhielt ich bereits in mei­ner Kind­heit mit der­sel­ben nüch­ter­nen und simp­len Gegen­fra­ge: War­um denn gera­de nicht du?

Ob ich nun an Gott glau­be oder nicht, dar­auf gehe ich an die­ser Stel­le nicht näher ein. Nur so viel: Gibt es ihn, so bin ich über­zeugt, dass es ein bedin­gungs­los lie­ben­der Gott ist, der nach den obi­gen Prin­zi­pi­en weder urteilt, ver­ur­teilt noch bewer­tet. Alles ist gleich­wer­tig oder gar nicht erst einem Wer­te­sys­tem unter­wor­fen. Ob ich nun gehen kann oder nicht, ist für Gott in etwa so irrele­vant wie die Tat­sa­che, dass ich brau­ne Augen oder (grau)braune Haa­re habe. Er hegt damit weder eine Absicht, einen tie­fe­ren Sinn, noch will er mir damit etwas sagen. Auch ist es kei­ne Stra­fe. Er scheint dem Schick­sal ein­fach nicht die glei­che Bedeu­tung bei­zu­mes­sen, wie wir Men­schen es tun. Er bewer­tet es nicht. Aber ganz recht, es sind schluss­end­lich pri­mär auch wir Men­schen, die mit unse­rem Leid umge­hen müs­sen und nicht Gott (sofern wir ihn von uns getrennt anse­hen).  Dabei kann uns die Fra­ge nach dem War­um hilf­reich sein oder aber auch nicht, falls wir nie eine befrie­di­gen­de Ant­wort erfahren.

Eine Fra­ge, die ich mir hin­ge­gen kaum mehr stel­le: Was wäre, wenn du nicht im Roll­stuhl wärst? Ich akzep­tie­re mich so, wie ich bin, und da ich wenig an mei­ner Situa­ti­on ändern kann, erüb­rigt sich die­se Fra­ge. Ich hat­te sehr viel Glück in mei­nem Leben und genies­se vie­le erhal­te­ne Pri­vi­le­gi­en. Dank des Roll­stuhls bin auf die Roll­stuhl-Leicht­ath­le­tik gestos­sen und habe eine wun­der­ba­re Sport­kar­rie­re sei­nen Lauf genom­men. Den­noch wäre der Roll­stuhl sicher­lich nicht mein Fort­be­we­gungs­mit­tel ers­ter Wahl, soll­te es ein nächs­tes Leben geben.

«Man soll­te die Din­ge so neh­men, wie sie kom­men. Aber man soll­te auch dafür sor­gen, dass die Din­ge so kom­men, wie man sie neh­men möch­te.» Curt Goetz

 

 

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