Inklusion im Leistungssport
Sport verbindet und hat die Kraft, sehr viel zu bewirken und zum Positiven zu verändern, so auch in der Inklusionsthematik. Seit Beginn meiner Sportkarriere hat sich sehr viel getan, und der Sport hat in vielen Bereichen zusehends eine Vorbildrolle eingenommen. So findet vermehrt eine Annäherung des Parasports an den Nichtbehindertensport statt. Ein solches Musterbeispiel sind die Abbott Major Marathon Series, zu welchen wir Rennrollstuhlfahrer meiner Kategorie seit einigen Jahren auch mit einbezogen werden. Unser Elitefeld darf grösstenteils die gleiche Behandlung geniessen wie die der besten Läufer, und eine Angleichung der Preisgelder an diejenigen der Läufer passiert bereits oder wurde bereits vollzogen. Auch in anderen Sportarten wie z.B. Tennis werden die Parasportler:innen in Turniere von Nichtbehinderten teilweise mit einbezogen, wenn auch mit nicht vergleichbaren Preisgeldern. Im Radsport ist das Para-Cycling dem internationalen Verband UCI bereits eingegliedert worden, und es ist besonders erfreulich, dass bei der Rad-WM dieses Jahr in Zürich erstmals gleichzeitig auch die Para-Cycling-Kategorien durchgeführt werden.
Sportlerwahlen
Wo es immer wieder zu Diskussionen kommt, ist die Inklusion bei Sportlerwahlen. Bereits früh in meiner Laufbahn durfte ich an den Schweizer Sports Awards den Preis in der Kategorie «Newcomer» entgegennehmen. Den Entscheid, mich als erster und bisher einziger Parasportler zu nominieren, werte ich als mutig und als starkes Zeichen. Dass ich mich bei der Publikumswahl gegen hochkarätige Konkurrenz durchsetzen konnte, war eine riesige Überraschung. Rückblickend muss ich fairerweise eingestehen, dass ein gewisser Behindertenbonus wohl auch (aber hoffentlich nicht nur!) dazu beigetragen haben könnte. Löblich finde ich zudem den Wechsel in der Kategorie-Bezeichnung von «Behindertensportler» zu «Paralympische:r Sportler:in». Zurzeit stehen an solchen Awards zwei für mich berechtigte Fragen zur Debatte:
- Sollten im Sinne einer Gleichberechtigung die Parasportlerinnen und Parasportler je eine separate Kategorie erhalten?
Da es sowohl bei den Frauen wie auch den Männern eine immer grössere Anzahl guter Parasportler:innen gibt, die miteinander konkurrieren könnten, wäre das für mich inzwischen grundsätzlich denkbar. Doch wenn die Gleichstellung das treibende Argument ist, sollte das konsequenterweise auch für andere Kategorien wie Trainer:in oder MVP (engl. Most Valuable Player) gelten. Ob das sinnvoll und machbar ist, kann ich zu wenig beurteilen.
- Sollten Parasportler:innen bei «Sportler:in des Jahres» eingegliedert werden?
Für mich ein Wunschszenario, das zumindest bei einzelnen kantonalen Wahlen zu funktionieren scheint. Eine grosse Herausforderung dabei ist, dass das Wahlgremium die einzelnen Leistungen richtig einordnen und vergleichen können sollte. Was ohnehin schon sehr schwierig ist, wird mit zusätzlichen Parasportarten noch schwieriger. Es muss bei allen der gleiche Massstab angesetzt werden, und der Behindertenbonus darf keinen Einfluss mehr haben. Ein Nachteil wäre jedoch, dass der Parasport dadurch eine wiederkehrende öffentliche Plattform verlieren würde.
Olympics vs. Paralympics
Ist es an der Zeit, die Paralympischen und Olympischen Spiele zusammenzulegen? Diese Frage wurde mir schon oft gestellt. Um eine schlüssige Antwort zu geben, gilt es einiges zu beachten.
Die Commonwealth Games bieten ein gutes Beispiel dafür, wie eine Grossveranstaltung sowohl Sportarten der Parasportler:innen wie auch der Nichtbehindertensportler:innen beinhalten können.
Bei der Durchsicht des Zeitplans der letzten Austragung fällt auf, dass zum Beispiel Tischtennis im selben Zeitfenster wie Para-Tischtennis, Schwimmen neben Para-Schwimmen und Radfahren neben Para-Radfahren als Teil eines Programms von acht Sportarten stattfanden.
Es wäre wohl ein kühner Traum für fast jeden Parasportler, wenn auch die paralympischen Sportarten durchmischt mit den Olympischen Spielen durchgeführt und gleichwertig auf derselben Bühne präsentiert werden könnten. Doch bei einer allfälligen Diskussion über eine Zusammenlegung dürfen einige wichtige Faktoren nicht ausser Acht gelassen werden.
Logistisch kaum durchführbar
Die Olympischen Spiele und die Paralympics sind die beiden grössten Sportereignisse der Welt. Im Vergleich dazu sind die Commonwealth Games viel kleiner, so dass eine Zusammenlegung machbar ist. Entsprechend müsste die Teilnehmerzahl drastisch reduziert werden, was sich als sehr schwer herausstellen dürfte. Die Frage, welche Sportarten oder Disziplinen gestrichen oder welche Behinderten-Kategorien ausgeschlossen werden müssten, dürfte zu heftigen Auseinandersetzungen führen. Und die ausgeschlossenen Sportarten und Kategorien dürften als Konsequenz davon weitgehend von der Bildfläche verschwinden.
Die Paralympics mit einer eigenständigen Geschichte und Bewegung
Die Paralympics sind in den letzten Jahren stetig gewachsen und wurden zu einem eigenständigen Grossanlass. Die Paralympics 2020 (2021) in Tokio sollen mit einer geschätzten Gesamtzahl von 4,25 Milliarden Zuschauern* weltweit neue Zuschauerrekorde aufgestellt haben. Dabei wird von einigen befürchtet, dass dieses Wachstum durch eine Zusammenlegung gebremst werden könnte, da es sich um zwei unterschiedliche Veranstaltungen mit jeweils eigener Geschichte und unterschiedlichen Bewegungen handelt, wobei teils verschiedene Botschaften vermittelt werden. Eine Zusammenlegung könnte dazu führen, dass diese Identitäten und Botschaften verwässert werden. Ausserdem besteht die Sorge, dass der Verlust der separaten «Marke» Paralympics die Parasportler:innen in den Schatten der anderen olympischen Stars stellen würde. Zudem würde die Veranstaltung länger dauern und die Aufmerksamkeit womöglich abnehmen.
Die Paralympics werden offenbar manchmal zu wenig als eigenes bedeutendes Sportereignis mit gleichwertigen Hochleistungssportler:innen und ihrer eigenen reichen Geschichte geschätzt. Viele sind der Ansicht, dass die Olympischen Spiele so viel besser sind und die Paralympics eine Erweiterung sein sollten. Dabei wird weniger in Betracht gezogen, dass die Paralympics als eigenständiger Event bereits gut genug sind. Die paralympische Bewegung muss nicht unbedingt durch eine Zusammenlegung gestärkt werden. Vielmehr könnte der parasportliche Bereich mit mehr Ressourcen, Aufmerksamkeit und Respekt gefördert werden.
Zurzeit besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass eine Zusammenlegung der Veranstaltungen weder sinnvoll noch machbar ist. Dennoch schadet es nicht, diese Frage gelegentlich erneut zu überdenken. Wichtig ist, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Internationalen Olympischen Komitee und dem Internationalen Paralympischen Komitee besteht. Die Paralympics werden vielleicht nie den gleichen Status wie die Olympischen Spiele erreichen, aber eine weitere Annäherung wird angestrebt.
* Quelle: www.sbs.com.au
Stolz ein Paralympian zu sein
Oft werden die Paralympischen Spiele von Aussenstehenden oder in den Medien fälschlicherweise als Olympische Spiele bezeichnet, oder ich werde als Olympiasieger statt Paralympic-Sieger betitelt. Dies geschieht meist aus Versehen oder gar mit der gut gemeinten Absicht einer vermeintlichen Aufwertung. Doch bin ich der Meinung, dass man auch einfach dazu stehen und stolz sein darf, ein Paralympian zu sein.
Ursprung der Paralympics Die Paralympics haben ihren Ursprung in den «International Stoke Mandeville Games», die 1948 von Dr. Ludwig Guttmann in einem Krankenhaus in Stoke Mandeville, England für verletzte Kriegsveteranen des Zweiten Weltkriegs ins Leben gerufen wurden. Die Paralympics haben sich im Laufe der Zeit von einem Wettkampf für Rollstuhlsportler:innen zu einem Sportereignis für Athlet:innen mit verschiedenen körperlichen Beeinträchtigungen entwickelt. Im Jahr 1989 wurde das Internationale Paralympic Committee (IPC) gegründet. Die Paralympics finden immer im selben Jahr wie die Olympischen Spiele statt. Seit den Sommerspielen 1988 in Seoul finden sie zudem an denselben Austragungsorten statt. Seit der Bewerbung für die Olympischen Spiele 2012 müssen Städte in ihren Bewerbungen auch die Ausrichtung der Paralympics miteinbeziehen, welche dann vom selben lokalen Organisationskomitee wie die Olympischen Spiele koordiniert werden. Die Paralympics beginnen entsprechend dieser Vereinbarung immer spätestens drei Wochen nach Ende der Olympischen Spiele an den gleichen Sportstätten. Der Begriff «Paralympics» wurde zunächst aus der Zusammensetzung der Wörter «Paraplegic» (engl. für «gelähmt») und «Olympic» geschaffen. Um die Zugehörigkeit von Menschen mit anderen Behinderungsarten zu repräsentieren, wurde der Begriff später neu definiert. Das Wort «Paralympic» stammt demnach aus den griechischen Worten «Para» (neben) und «Olympics», damit werden die Spiele neben den Olympischen Spielen ausgedrückt. |
Natürlich muss in vielen Bereichen noch viel getan werden, um Grenzen in der Inklusion zu verschieben, Grenzen neu zu definieren oder sie zu entfernen. Wenn die Gesellschaft sich für weitere Veränderungen öffnet und die Entwicklung so weitergeht, verspüre ich für die kommenden Parasport-Generationen und die Gesellschaft im Allgemeinen sehr viel Zuversicht.