Inklusion im Leistungssport

Inklu­si­on im Leistungssport

Sport ver­bin­det und hat die Kraft, sehr viel zu bewir­ken und zum Posi­ti­ven zu ver­än­dern, so auch in der Inklu­si­ons­the­ma­tik. Seit Beginn mei­ner Sport­kar­rie­re hat sich sehr viel getan, und der Sport hat in vie­len Berei­chen zuse­hends eine Vor­bild­rol­le ein­ge­nom­men. So fin­det ver­mehrt eine Annä­he­rung des Parasports an den Nicht­be­hin­der­ten­sport statt. Ein sol­ches Mus­ter­bei­spiel sind die Abbott Major Mara­thon Series, zu wel­chen wir Renn­roll­stuhl­fah­rer mei­ner Kate­go­rie seit eini­gen Jah­ren auch mit ein­be­zo­gen wer­den. Unser Eli­te­feld darf gröss­ten­teils die glei­che Behand­lung genies­sen wie die der bes­ten Läu­fer, und eine Anglei­chung der Preis­gel­der an die­je­ni­gen der Läu­fer pas­siert bereits oder wur­de bereits voll­zo­gen. Auch in ande­ren Sport­ar­ten wie z.B. Ten­nis wer­den die Parasportler:innen in Tur­nie­re von Nicht­be­hin­der­ten teil­wei­se mit ein­be­zo­gen, wenn auch mit nicht ver­gleich­ba­ren Preis­gel­dern. Im Rad­sport ist das Para-Cycling dem inter­na­tio­na­len Ver­band UCI bereits ein­ge­glie­dert wor­den, und es ist beson­ders erfreu­lich, dass bei der Rad-WM die­ses Jahr in Zürich erst­mals gleich­zei­tig auch die Para-Cycling-Kate­go­rien durch­ge­führt werden.

Sie­ger des Major Mara­thons in New York 2023  © NYC Mara­thon / NYRR


Sportlerwahlen

Wo es immer wie­der zu Dis­kus­sio­nen kommt, ist die Inklu­si­on bei Sport­ler­wah­len. Bereits früh in mei­ner Lauf­bahn durf­te ich an den Schwei­zer Sports Awards den Preis in der Kate­go­rie «New­co­mer» ent­ge­gen­neh­men. Den Ent­scheid, mich als ers­ter und bis­her ein­zi­ger Parasport­ler zu nomi­nie­ren, wer­te ich als mutig und als star­kes Zei­chen. Dass ich mich bei der Publi­kums­wahl gegen hoch­ka­rä­ti­ge Kon­kur­renz durch­set­zen konn­te, war eine rie­si­ge Über­ra­schung. Rück­bli­ckend muss ich fai­rer­wei­se ein­ge­ste­hen, dass ein gewis­ser Behin­der­ten­bo­nus wohl auch (aber hof­fent­lich nicht nur!) dazu bei­getra­gen haben könn­te. Löb­lich fin­de ich zudem den Wech­sel in der Kate­go­rie-Bezeich­nung von «Behin­der­ten­sport­ler» zu «Paralympische:r Sportler:in». Zur­zeit ste­hen an sol­chen Awards zwei für mich berech­tig­te Fra­gen zur Debatte:

  1. Soll­ten im Sin­ne einer Gleich­be­rech­ti­gung die Parasport­le­rin­nen und Parasport­ler je eine sepa­ra­te Kate­go­rie erhalten?

Da es sowohl bei den Frau­en wie auch den Män­nern eine immer grös­se­re Anzahl guter Parasportler:innen gibt, die mit­ein­an­der kon­kur­rie­ren könn­ten, wäre das für mich inzwi­schen grund­sätz­lich denk­bar. Doch wenn die Gleich­stel­lung das trei­ben­de Argu­ment ist, soll­te das kon­se­quen­ter­wei­se auch für ande­re Kate­go­rien wie Trainer:in oder MVP (engl. Most Valuable Play­er) gel­ten. Ob das sinn­voll und mach­bar ist, kann ich zu wenig beurteilen.

  1. Soll­ten Parasportler:innen bei «Sportler:in des Jah­res» ein­ge­glie­dert werden?

Für mich ein Wunsch­sze­na­rio, das zumin­dest bei ein­zel­nen kan­to­na­len Wah­len zu funk­tio­nie­ren scheint. Eine gros­se Her­aus­for­de­rung dabei ist, dass das Wahl­gre­mi­um die ein­zel­nen Leis­tun­gen rich­tig ein­ord­nen und ver­glei­chen kön­nen soll­te. Was ohne­hin schon sehr schwie­rig ist, wird mit zusätz­li­chen Parasport­ar­ten noch schwie­ri­ger. Es muss bei allen der glei­che Mass­stab ange­setzt wer­den, und der Behin­der­ten­bo­nus darf kei­nen Ein­fluss mehr haben. Ein Nach­teil wäre jedoch, dass der Parasport dadurch eine wie­der­keh­ren­de öffent­li­che Platt­form ver­lie­ren würde.

Olym­pics vs. Paralympics

Ist es an der Zeit, die Para­lym­pi­schen und Olym­pi­schen Spie­le zusam­men­zu­le­gen? Die­se Fra­ge wur­de mir schon oft gestellt. Um eine schlüs­si­ge Ant­wort zu geben, gilt es eini­ges zu beachten.

Die Com­mon­wealth Games bie­ten ein gutes Bei­spiel dafür, wie eine Gross­ver­an­stal­tung sowohl Sport­ar­ten der Parasportler:innen wie auch der Nichtbehindertensportler:innen beinhal­ten können.

Bei der Durch­sicht des Zeit­plans der letz­ten Aus­tra­gung fällt auf, dass zum Bei­spiel Tisch­ten­nis im sel­ben Zeit­fens­ter wie Para-Tisch­ten­nis, Schwim­men neben Para-Schwim­men und Rad­fah­ren neben Para-Rad­fah­ren als Teil eines Pro­gramms von acht Sport­ar­ten stattfanden.

Es wäre wohl ein küh­ner Traum für fast jeden Parasport­ler, wenn auch die para­lym­pi­schen Sport­ar­ten durch­mischt mit den Olym­pi­schen Spie­len durch­ge­führt und gleich­wer­tig auf der­sel­ben Büh­ne prä­sen­tiert wer­den könn­ten. Doch bei einer all­fäl­li­gen Dis­kus­si­on über eine Zusam­men­le­gung dür­fen eini­ge wich­ti­ge Fak­to­ren nicht aus­ser Acht gelas­sen werden.

Logis­tisch kaum durchführ­bar

Die Olym­pi­schen Spie­le und die Para­lym­pics sind die bei­den gröss­ten Sport­er­eig­nis­se der Welt. Im Ver­gleich dazu sind die Com­mon­wealth Games viel klei­ner, so dass eine Zusam­men­le­gung mach­bar ist. Ent­spre­chend müss­te die Teil­neh­mer­zahl dras­tisch redu­ziert wer­den, was sich als sehr schwer her­aus­stel­len dürf­te. Die Fra­ge, wel­che Sport­ar­ten oder Dis­zi­pli­nen gestri­chen oder wel­che Behin­der­ten-Kate­go­rien aus­ge­schlos­sen wer­den müss­ten, dürf­te zu hef­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen füh­ren. Und die aus­ge­schlos­se­nen Sport­ar­ten und Kate­go­rien dürf­ten als Kon­se­quenz davon weit­ge­hend von der Bild­flä­che verschwinden.

Die Para­lym­pics mit einer eigenständi­gen Geschich­te und Bewegung

Die Para­lym­pics sind in den letz­ten Jah­ren ste­tig gewach­sen und wur­den zu einem eigen­stän­di­gen Gross­an­lass. Die Para­lym­pics 2020 (2021) in Tokio sol­len mit einer geschätz­ten Gesamt­zahl von 4,25 Mil­li­ar­den Zuschau­ern* welt­weit neue Zuschau­er­re­kor­de auf­ge­stellt haben. Dabei wird von eini­gen befürch­tet, dass die­ses Wachs­tum durch eine Zusam­men­le­gung gebremst wer­den könn­te, da es sich um zwei unter­schied­li­che Ver­an­stal­tun­gen mit jeweils eige­ner Geschich­te und unter­schied­li­chen Bewe­gun­gen han­delt, wobei teils ver­schie­de­ne Bot­schaf­ten ver­mit­telt wer­den. Eine Zusam­men­le­gung könn­te dazu füh­ren, dass die­se Iden­ti­tä­ten und Bot­schaf­ten ver­wäs­sert wer­den. Aus­ser­dem besteht die Sor­ge, dass der Ver­lust der sepa­ra­ten «Mar­ke» Para­lym­pics die Parasportler:innen in den Schat­ten der ande­ren olym­pi­schen Stars stel­len wür­de. Zudem wür­de die Ver­an­stal­tung län­ger dau­ern und die Auf­merk­sam­keit womög­lich abnehmen.

Die Para­lym­pics wer­den offen­bar manch­mal zu wenig als eige­nes bedeu­ten­des Sport­er­eig­nis mit gleich­wer­ti­gen Hochleistungssportler:innen und ihrer eige­nen rei­chen Geschich­te geschätzt. Vie­le sind der Ansicht, dass die Olym­pi­schen Spie­le so viel bes­ser sind und die Para­lym­pics eine Erwei­te­rung sein soll­ten. Dabei wird weni­ger in Betracht gezo­gen, dass die Para­lym­pics als eigen­stän­di­ger Event bereits gut genug sind. Die para­lym­pi­sche Bewe­gung muss nicht unbe­dingt durch eine Zusam­men­le­gung gestärkt wer­den. Viel­mehr könn­te der parasport­li­che Bereich mit mehr Res­sour­cen, Auf­merk­sam­keit und Respekt geför­dert werden.

Zur­zeit besteht weit­ge­hen­de Einig­keit dar­über, dass eine Zusam­men­le­gung der Ver­an­stal­tun­gen weder sinn­voll noch mach­bar ist. Den­noch scha­det es nicht, die­se Fra­ge gele­gent­lich erneut zu über­den­ken. Wich­tig ist, dass eine enge Zusam­men­ar­beit zwi­schen dem Inter­na­tio­na­len Olym­pi­schen Komi­tee und dem Inter­na­tio­na­len Para­lym­pi­schen Komi­tee besteht. Die Para­lym­pics wer­den viel­leicht nie den glei­chen Sta­tus wie die Olym­pi­schen Spie­le errei­chen, aber eine wei­te­re Annä­he­rung wird angestrebt.

* Quel­le: www.sbs.com.au

Stolz ein Para­lym­pian zu sein

Oft wer­den die Para­lym­pi­schen Spie­le von Aus­sen­ste­hen­den oder in den Medi­en fälsch­li­cher­wei­se als Olym­pi­sche Spie­le bezeich­net, oder ich wer­de als Olym­pia­sie­ger statt Para­lym­pic-Sie­ger beti­telt. Dies geschieht meist aus Ver­se­hen oder gar mit der gut gemein­ten Absicht einer ver­meint­li­chen Auf­wer­tung. Doch bin ich der Mei­nung, dass man auch ein­fach dazu ste­hen und stolz sein darf, ein Para­lym­pian zu sein.

Ursprung der Paralympics

Die Para­lym­pics haben ihren Ursprung in den «Inter­na­tio­nal Sto­ke Man­de­ville Games», die 1948 von Dr. Lud­wig Gutt­mann in einem Kran­ken­haus in Sto­ke Man­de­ville, Eng­land für ver­letz­te Kriegs­ve­te­ra­nen des Zwei­ten Welt­kriegs ins Leben geru­fen wur­den. Die Para­lym­pics haben sich im Lau­fe der Zeit von einem Wett­kampf für Rollstuhlsportler:innen zu einem Sport­er­eig­nis für Athlet:innen mit ver­schie­de­nen kör­per­li­chen Beein­träch­ti­gun­gen ent­wi­ckelt. Im Jahr 1989 wur­de das Inter­na­tio­na­le Para­lym­pic Com­mit­tee (IPC) gegrün­det. Die Para­lym­pics fin­den immer im sel­ben Jahr wie die Olym­pi­schen Spie­le statt. Seit den Som­mer­spie­len 1988 in Seo­ul fin­den sie zudem an den­sel­ben Aus­tra­gungs­or­ten statt. Seit der Bewer­bung für die Olym­pi­schen Spie­le 2012 müs­sen Städ­te in ihren Bewer­bun­gen auch die Aus­rich­tung der Para­lym­pics mit­ein­be­zie­hen, wel­che dann vom sel­ben loka­len Orga­ni­sa­ti­ons­ko­mi­tee wie die Olym­pi­schen Spie­le koor­di­niert wer­den. Die Para­lym­pics begin­nen ent­spre­chend die­ser Ver­ein­ba­rung immer spä­tes­tens drei Wochen nach Ende der Olym­pi­schen Spie­le an den glei­chen Sportstätten.

Der Begriff «Para­lym­pics» wur­de zunächst aus der Zusam­men­set­zung der Wör­ter «Para­ple­gic» (engl. für «gelähmt») und «Olym­pic» geschaf­fen. Um die Zuge­hö­rig­keit von Men­schen mit ande­ren Behin­de­rungs­ar­ten zu reprä­sen­tie­ren, wur­de der Begriff spä­ter neu defi­niert. Das Wort «Para­lym­pic» stammt dem­nach aus den grie­chi­schen Wor­ten «Para» (neben) und «Olym­pics», damit wer­den die Spie­le neben den Olym­pi­schen Spie­len ausgedrückt.

Natür­lich muss in vie­len Berei­chen noch viel getan wer­den, um Gren­zen in der Inklu­si­on zu ver­schie­ben, Gren­zen neu zu defi­nie­ren oder sie zu ent­fer­nen. Wenn die Gesell­schaft sich für wei­te­re Ver­än­de­run­gen öff­net und die Ent­wick­lung so wei­ter­geht, ver­spü­re ich für die kom­men­den Parasport-Gene­ra­tio­nen und die Gesell­schaft im All­ge­mei­nen sehr viel Zuversicht.

 

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