Im Sport liegen Sieg und Niederlage bekanntlich nahe beieinander, und doch gibt es eine klare Trennung. Ein Wimpernschlag kann darüber entscheiden, ob ich als strahlender Sieger oder als enttäuschter Verlierer den Wettkampfplatz verlasse. Auf vieles bereite ich mich vor und halte das Schicksal weitestgehend in meinen Händen. Doch es kann auch viel Unvorhergesehenes passieren. Glück und Pech liegen nahe beieinander. Ein kleiner Fehler, eine Unachtsamkeit, und schon kann ich scheitern. Vom Moment des Triumphes und grosse Glückseligkeit bis hin zu bitterer Enttäuschung und kaum zu ertragender Tragödie bekommen wir durch den Sport die ganze Spannbreite von Emotionen geboten. Wir beobachten, wie sich Sportler ihrem Schicksal ergeben und die Herausforderungen meistern, und begleiten sie durch Höhen und Tiefen. Sie widerspiegeln dadurch die Herausforderungen und Schicksalsschläge, die uns allen in unserem Leben widerfahren, und werden so in ihren Bann gezogen.
Genauso wie Sportler:innen werden auch Menschen mit Behinderung gerne als «Meister ihres Schicksals» betrachtet. Eine Behinderung, sei es durch ein Ereignis oder von Geburt an, stellt für viele etwas Schlimmes, eine Tragödie dar und bringt immer eine gewisse Schwere mit sich. Es scheint für viele ein schwerer «Schicksalsschlag» zu sein. Ist es denn nun wirklich Schicksal, wenn uns ein Unglück ereilt? Oder ist es doch der Zufall, den wir für würdig halten dürfen, über unser Schicksal zu entscheiden, wie es Sigmund Freud mal sagte? Könnte man es auch schicksalhaften Zufall oder zufälliges Schicksal nennen? Da gibt es wohl keine klare Antwort. Dies ist der Interpretation jedes einzelnen überlassen. Egal wie man es nun nennen mag, sind es wohl oft mehrere Umstände, die zusammenkommen und zu einem Ergebnis führen. Ursachen führen zu einer Wirkung. Nicht umsonst werden Unfälle «verursacht». Nüchtern betrachtet sind es teils erschreckend einfache Kausalitäten. Ein falscher Tritt, eine Fehleinschätzung, ein Vitamin-Mangel bei Geburt usw. Manchmal fordert das Schicksal (oder der Zufall) uns heraus, ohne dass wir bewusst Einfluss darauf nehmen können, und manchmal sind wir es, die das Schicksal herausfordern. Ein Unglück ist zwar meist von äusseren Einflüssen geprägt, doch geht ihm oftmals auch eine menschliche Handlung voraus. Dies gilt auch für das Glück, das auf der Schicksalsskala dem Unglück gegenübersteht, wenn ich beispielsweise beim Ausfüllen des Lottoscheins an den Gewinn denke, bevor ich – wenn überhaupt – gewinnen kann.
Wenn wir das Glück «jagen», kann das meist gutgehen, doch plötzlich kann sich das Glück zum Unglück «wenden» und uns ein anderes Gesicht zeigen.
Ob wir nun wegen einer waghalsigen Aktion oder anderen unglücklichen Umständen in den Rollstuhl kommen oder seit der Geburt, das Ergebnis ist dasselbe: Es beeinflusst das ganze künftige Leben.
Aber natürlich hat ein Unheil nicht immer eine Behinderung zur Folge und kann naturgemäss uns alle jederzeit an jedem Ort auf unterschiedlichste Art treffen und tiefe Narben hinterlassen.
«Glück entsteht oft durch Aufmerksamkeit in kleinen Dingen, Unglück oft durch Vernachlässigung kleiner Dinge.»
Wilhelm Busch
Leid ist sehr vielfältig, und es gibt verschiedene Wege, wie man mit solchen schwierigen Erfahrungen umgehen kann. Ich bin kein Experte in dieser Thematik und glücklicherweise auch nicht sehr erprobt darin. Dennoch erscheint mir erstmal wichtig, dass das Leid zugelassen und ihm Raum gegeben werden kann. In dieser Zeit brauchen wir die Unterstützung anderer mehr denn je. Wir brauchen Menschen, die uns zuhören und den Schmerz mit uns teilen. Das Leid, sei es Trauer, Schmerz oder Kummer, kann nicht entfernt werden. Aber es kann ihm Raum gegeben werden, wo es in das Leben integriert werden oder sich mit der Zeit verflüchtigen kann. Mir gefällt die bildliche Vorstellung, dass sich Leid wie ein Tropfen Tinte in einem Gefäss mit Wasser diffundieren kann, bis es zwar noch vorhanden, aber kaum mehr sichtbar ist.
Auch mag uns der aus der empirischen Glücksforschung bekannte Kompensationseffekt, auch «hedonische Adaption» genannt, erstaunen. Er bezieht sich darauf, dass sich Menschen relativ schnell an neue Umstände gewöhnen können und nach positiven oder negativen Ereignissen tendenziell zu ihrem ursprünglichen Glücksniveau zurückkehren. Dieser Effekt kann beispielsweise dazu führen, dass selbst der oben genannte fiktive Lottogewinn das Glücksniveau nicht dauerhaft steigert. Der Kompensationseffekt verdeutlicht somit die Anpassungsfähigkeit des Menschen an veränderte Lebensumstände und die Nivellierung extremer Glückszustände über die Zeit hinweg, um ein stabiles Wohlbefinden zu erlangen. Dies bringt sowohl Vor- wie auch Nachteile mit sich, kann uns aber gerade angesichts bevorstehender Rückschläge etwas Zuversicht schenken. Noch einen Schritt weiter geht die Theorie des «posttraumatischen Wachstums». Dieser Begriff beschreibt die Möglichkeit, dass Personen nach belastenden Erlebnissen nicht nur eine psychische und soziale Wiederherstellung erfahren, sondern auch persönlich wachsen. Es betont insbesondere die potenzielle Entwicklung von Stärke, gesteigerter Wertschätzung für das Leben, intensivierten persönlichen Beziehungen und einem neuen Verständnis für die eigenen Fähigkeiten. Diese Theorie, die mich stark an die Superkompensation im Sport erinnert, unterstreicht, dass wir nach traumatischen Erfahrungen nicht nur zu einem bestimmten Glücksniveau zurückkehren können, sondern auch positive Veränderungen etablieren können, die das individuelle Wohlbefinden langfristig steigern.
Doch allen diesen aufmunternden Theorien zum Trotz möchte ich nicht beschönigen, dass ein Schicksalsschlag derart gravierend sein kann, dass Menschen für längere Zeit in die Knie gezwungen werden, ihr Schmerz nicht so schnell diffundiert und ein Wiederaufrappeln kaum möglich erscheint. Wir alle tragen unseren imaginären Rucksack, der eine ist grösser und schwerer, andere sind kleiner und leichter. Viele tragen Ballast mit sich herum, der abgeworfen werden kann, andere Bürden wiegen dagegen schwer — ein Leben lang.